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Arbeitsabenteuer in Europa: Aus Nordamerika nach Ostbayern

Sechs Pflegefachkräfte aus Mexiko verstärken seit wenigen Wochen die Heimbelegschaften in Zandt, Eggmühl und Ergoldsbach. Lissette, Edgar, Angeles, Floribel, Ana und Cindy Marlen erzählen von ihren Motiven, nach Bayern zu kommen, von großer Hilfsbereitschaft, dem ersten Schnee und dem täglichen Kampf mit dem Dialekt.

Von Frank Betthausen

Regensburg. Ja, die Sache mit dem „Schloffa“ und dem „Bies´ln“! Edgar Sánchez muss grinsen. Deutsch ist wahrlich keine leichte Sprache, das hat der 26-Jährige aus Mexiko schnell gemerkt. Kommt – wie an seinem neuen Arbeitsplatz im BRK-Seniorenwohn- und Pflegeheim Zandt (Landkreis Cham) – auch noch der Oberpfälzer Dialekt ins Spiel, helfen das beste Lehrbuch und das schönste Hochdeutsch nichts mehr.

Dann müssen hilfsbereite Kollegen einspringen, die einem erklären, dass es ums „Schlafen“ und „Pinkeln“ geht – oder es braucht Bewohner, die einem als Neuling mit Spanisch als Muttersprache geduldig und verständnisvoll „eindeutschen“, was sie meinen.

Seit Dezember lebt und arbeitet Edgar Sánchez in Zandt. Eine Riesenveränderung! Der junge Mann stammt aus Toluca, einer Stadt mit rund 500 000 Einwohnern, etwa 65 Kilometer südwestlich von Mexiko-Stadt gelegen. Etwa zwei Wochen vor Weihnachten war er mit 17 anderen mexikanischen Pflegefachkräften nach Bayern gekommen – über eine Initiative des Bayerischen Roten Kreuzes und der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung der Bundesagentur für Arbeit. 

Sie hat das Ziel, dem Fachkräftemangel in der Branche entgegenzuwirken und baut auf die hohe Qualifikation der Mitarbeiter aus Nordamerika. Insgesamt sechs mexikanische Pflegekräfte verschlug es in Einrichtungen des BRK-Bezirksverbands Niederbayern/Oberpfalz – neben Zandt sind sie in Schierling und Ergoldsbach beschäftigt. Edgar und seine Kollegen haben in ihrer Heimat einen akademischen Abschluss in der Krankenpflege absolviert. Die „Licenciada en Enfermería“ umfasst ein dreijähriges Studium und ein Praxisjahr.

„Mir geht es super. Ich bin sehr zufrieden“, sagt Edgar über seine ersten Monate in der Oberpfalz – in hervorragendem Deutsch. Seine Kollegin Lissette Sánchez (26), die im Februar an seine Seite stieß, fügt hinzu: „Ja, es ist wirklich alles gut. Die Kollegen und alle Leute hier sind toll.“ Natürlich vermisse er Mexiko, meint Edgar, das sei normal. Allerdings sei der Einsatz in Deutschland eine einmalige Chance für ihn und seine Kollegen. „Nicht jeder Krankenpfleger hat die Gelegenheit, im Ausland zu arbeiten.“

Und so gab es damals für ihn nicht viel zu überlegen, als er im Internet von dem Projekt im fernen Deutschland las. „Ich wollte als Kind schon in einem anderen Land arbeiten“, erzählt er. Lissette, die mit Edgar in Zandt in einer WG lebt, pflichtet ihm lächelnd bei. Die junge Frau hat ihre Heimat in Morelos bei Axochiapan, einer Stadt mit gut 40 000 Einwohnern im Südosten der Metropole Mexiko-Stadt.

„Ich wollte als Kind schon in einem anderen Land arbeiten." Edgar Sánchez

Dass sie in Deutschland trotz des hohen Stellenwerts ihrer Ausbildung erst einmal „nur“ als Pflegehilfskräfte geführt werden, stört die beiden nicht. Bis Juli oder August, meint Heimleiter Josef Pemmerl, wird es dauern, bis die Anerkennung auf dem Behördenweg durch ist und Lissette und Edgar auch offiziell als Fachkräfte gelten. Bis dahin lautet der Auftrag, weiter fleißig zu pauken.

Nach einem einjährigen Sprachkurs bei den Carl-Duisberg-Centren in Mexiko, der vor der Reise nach Europa zu meistern war, müssen die jungen BRK-Kollegen bis zum Sommer ihre Sprachkenntnisse auf B2-Niveau verbessern. Sprich: Sie müssen dann imstande sein, auch komplexe Texte zu lesen und eine normale Unterhaltung auf Deutsch zu führen.

„In Sachen Bayerisch werden die beiden gerade von den Kollegen auf der Station weitergebildet“, sagt Josef Pemmerl mit einem Augenzwinkern. Wobei er auch zu verstehen gibt, dass in einem Pflegeheim viel mehr zählt – Einfühlungsvermögen zum Beispiel. Und das bringen beide Beschäftigten mit. „Unsere Bewohner nehmen Lissette und Edgar super an. Beide haben eine sehr herzliche Art. Das ist der Schlüssel zum Erfolg“, sagt Pemmerl.

Sein Heimleiterkollege Bernhard Strazim erlebt und sieht es genauso. Auch im BRK-Seniorenwohn- und Pflegeheim Eggmühl (Markt Schierling, Landkreis Regensburg) arbeiten mit Angeles Mendez Merino (26) und Floribel Mendoza Estrada (27) zwei junge Mexikanerinnen. Sie kamen am 22. Februar in Deutschland an – nach sechstägiger Corona-Quarantäne im Hotel trafen sie am 2. März auf Schloss Eggmühl ein. Strazim und seine Kollegen hatten ihre Zimmer – Angeles und Floribel wohnen im Personaltrakt des BRK-Hauses – liebevoll dekoriert und dort „Herzlich willkommen“-Schilder aufgestellt.

Pflegedienstleiterin Sabine Heindl kümmert sich seit dem ersten Tag um die Nordamerikanerinnen. „Das ist eine ganz, ganz positive Erfahrung“, sagt sie. Ihr Mann hatte die neuen BRK-Mitarbeiterinnen in München abgeholt. Gemeinsam unterstützt das Paar die beiden seitdem nach Kräften – bei Behördengängen oder anderen wichtigen Erledigungen. Auch Regensburg und die Walhalla haben die Heindls Angeles und Floribel in ihrer Freizeit bald gezeigt. Der Start sollte schließlich auch in kultureller Hinsicht gelingen.

„Es ist einfach alles neu“, sagt Floribel, die aus Zacatecas stammt, der 130 000 Einwohner zählenden Hauptstadt des gleichnamigen Bundesstaates in Zentralmexiko. „Neue Wörter, neues Essen, neue Kollegen…“ Und was waren die Gründe, den mutigen Schritt nach Europa zu wagen? Auch hier spielt das kurze deutsche Wort „neu“ eine entscheidende Rolle. „Ich wollte neue Erfahrungen machen, neue Menschen kennenlernen und eine neue Kultur“, berichtet Angeles. Sie ist in Puebla groß geworden, einer Großstadt mit 1,5 Millionen Einwohnern im Südosten von Mexiko-Stadt.

„Ich wollte neue Erfahrungen machen, neue Menschen kennenlernen und eine neue Kultur.“ Angeles Mendez Merino

Wie ihre Landsleute in Zandt kämpfen die 26- und die 27-Jährige auch in Eggmühl mit dem bayerischen Zungenschlag der Bewohner. „Der Dialekt ist sehr kompliziert – aber Deutsch ist eine sehr schöne Sprache“, sagt Angeles. Sollte es wirklich einmal irgendwo „klemmen“, können die beiden BRK-Pflegehilfskräfte immer auf Unterstützung bauen. „Ich fühle mich gut und sicher. Unsere Kollegen sind sehr nett und helfen uns immer“, freut sich Floribel.

Seitdem Bernhard Strazim und seine Mitarbeiter für den Internet-Anschluss gesorgt haben und die Mexikanerinnen mit ihren Familien und Verwandten zu Hause Kontakt halten können, hält sich auch das Heimweh in Grenzen.

Bleibt nur noch die Sache mit dem Essen… Angeles lacht. „In Mexiko ist Chili in jedem Essen!“ Und was fehlt ihnen sonst noch? „Die Sonne“, meint Floribel. „Und das Tanzen, Trinken und Feiern!“, fügt Angeles hinzu. „Wir haben viele Traditionen – und eine schöne Landschaft.“

Gut, dass die Oberpfalz und Niederbayern in diesen Punkten konkurrenzfähig sind! Und wie wäre es, eine besondere Brücke zwischen der alten und der neuen Heimat zu schlagen? „Wenn es wieder möglich ist“, schlägt Corinna Lamich, stellvertretende Pflegedienstleiterin in Eggmühl, vor und bringt die Augen der jungen Frauen zum Leuchten, „feiern wir im Schlossgarten ein mexikanisches Fest.“

Unter den Gästen werden mit Sicherheit auch Ana Ramírez (25) und Cindy Marlen Rocha Sánchez (38) sein, die das Team des BRK-Senioren-Wohn- und Pflegeheims in Ergoldsbach (Landkreis Landshut) verstärken – Ana seit Dezember, Cindy Marlen seit Februar. Die beiden Kolleginnen, die in einer Wohnung in dem Markt zusammenleben, haben in Niederbayern zum ersten Mal in ihrem Leben Schnee gesehen. „Die ersten Tage habe ich viel gefroren“, erzählt Cindy Marlen, die aus Playa del Carmen, einem 150 000 Einwohner zählenden Urlaubsort an der mexikanischen Karibikküste, kommt.

Ana stammt aus Tapachula. Die Stadt liegt in der Nähe der Pazifikküste, etwa 18 Kilometer von der Grenze zu Guatemala entfernt. 200 000 Menschen leben dort. Auch für sie bedeutete der Schritt ins beschauliche Ergoldsbach eine gewaltige Umstellung – nicht nur wegen des Wetters. Doch sie ging ihn ganz bewusst. In Tapachula, berichtet sie, arbeiteten sehr viele Menschen im Beruf des Krankenpflegers. Es gebe nur wenige Stellen und Chancen, sich weiterzuentwickeln. So reifte ihr Entschluss, sich für das Projekt zu bewerben und ihr Glück in Europa zu versuchen.

„Natürlich sprechen hier viele Menschen Dialekt. Aber wenn sie merken, dass sie uns etwas erklären müssen, probieren sie es auf Hochdeutsch. Und es gibt auch die Kollegen, die uns immer helfen.“ Cindy Marlen Rocha Sánchez 

Cindy Marlen, die zwei Kinder hat, die beim Vater leben, wollte über ihre neue Arbeit in Deutschland vor allem ihrem Nachwuchs eine gute Zukunft ermöglichen.

Bei ihren Kollegen und den Heimbewohnern waren die Mexikanerinnen vom ersten Tag an beliebt. „Beide haben sehr unterschiedliche Stärken“, lobt sie ihr Chef, Heimleiter Florian Nahler. Ana beispielsweise sei total offen und wissbegierig. Cindy Marlen habe in Mexiko jahrelang in einer Akutklinik gearbeitet und sei absolut vorbildlich etwa in Hygienefragen. „Beide sind eine Bereicherung – nicht nur kulturell, sondern auch fachlich“, betont Nahler.

In Sachen Dialekt stellen die Niederbayern die Frauen auf eine ähnlich harte Probe wie die Oberpfälzer in den Heimen in Zandt und Eggmühl. „Deutsch ist die erste Fremdsprache, die ich gelernt habe“, erzählt Ana. Umso schwerer tat sie sich in den ersten Wochen mit dem kernigen Bayerisch der Einheimischen. „Aber die Bewohner haben viel Geduld mit uns“, sagt sie lachend.

Cindy Marlen hat ebenfalls die Erfahrung gemacht, dass die Senioren in der BRK-Einrichtung sie unterstützen, wo es nur geht. „Natürlich sprechen hier viele Menschen Dialekt“, sagt sie. „Aber wenn sie merken, dass sie uns etwas erklären müssen, probieren sie es auf Hochdeutsch. Und es gibt auch die Kollegen, die uns immer helfen.“

Allen voran Verwaltungskraft Ingrid Sautner. Sie betreut die Mexikanerinnen nicht nur im Dienst, sondern auch in ihrer Freizeit – bei Einkäufen genauso wie bei Behördengängen, beim Organisieren von Möbelstücken, Kleidung oder Handyverträgen. Dieser Tage hatte sie die beiden erst zum Kaffeetrinken zu sich nach Hause eingeladen.

„Es läuft so nebenher“, stapelt Sautner, die seit zehn Jahren im BRK-Pflegeheim in ihrem Heimatort arbeitet, fast ein wenig tief, wenn es um ihr Engagement geht. Über Ana und Cindy Marlen ist sie jedenfalls voll des Lobes. „Sie sprechen sehr gut Deutsch. Da war ich sehr überrascht.“

Den beiden scheinen in Deutschland alle Wege offen zu stehen – genauso wie Floribel und Angeles aus Eggmühl sowie Lissette und Edgar aus Zandt. Wie lange sie in Deutschland Erfahrungen fürs Leben sammeln wollen? Lissette hat eine klare Vorstellung. „Ich möchte hierbleiben“, sagt die 26-Jährige. Ihre Augen strahlen hinter der FFP2-Maske.