Wenn Parallelstrukturen die effektive Arbeit der Retter behindern

Bei einer Podiumsdiskussion zum Auftakt des 12. Bayerischen Katastrophenschutz-Kongresses ging es ganz entscheidend um die Frage, wie das Miteinander der Hilfs- und Rettungsorganisationen verbessert werden könnte. „Wir halten verschiedene Dinge mehrfach vor“, fand der THW-Landesbeauftragte für Bayern, Dr. Fritz-Helge Voß, in der Gesprächsrunde kritische Worte. Für ihn klar der falsche Weg! Sein Appell auf dem Podium in Weiden lautete: „Immer zusammen! Und jeder das, was er am besten kann!“

Von Frank Betthausen

Weiden. Zusammenarbeit ist nicht gleich Zusammenarbeit: Bei einer Podiumsdiskussion zum Auftakt des 12. Bayerischen Katastrophenschutz-Kongresses der BRK-Bereitschaften in Weiden hat Dr. Fritz-Helge Voß „Parallelstrukturen“ kritisch beleuchtet, mit denen sich Hilfs- und Rettungsorganisationen im Katastrophenfall nach seinem Dafürhalten ein effektives Miteinander erschweren.

„Plötzlich schicken wir wieder irgendwelche Boten umher, um dann Excel-Listen auszudrucken und woanders einzugeben. Das ist für mich nicht das 21. Jahrhundert.“ Alexander Hameder, Bereichsleiter Einsatzdienste bei der Johanniter Unfall-Hilfe

„Wir halten verschiedene Dinge mehrfach vor“, meinte der THW-Landesbeauftragte für Bayern und bezog diese Aussage auch auf das „Gedankengut“ in den Verbänden.

„Jeder muss alles können. Ich mache alles! Weil der andere das auch kann, brauche ich das auch“: Mit diesen Worten fasste er die in seinen Augen weit verbreitete Haltung zusammen. „Das ist nicht gut und das ist genau das, was wir im Ahrtal erlebt haben“, sagte Voß bei der Gesprächsrunde, die Professor Dr. Peter Bradl, Leiter des Instituts für Rettungswesen, Notfall- und Katastrophenmanagement an der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt, moderierte.

Voß' klarer Appell auf dem Podium im Gustav-von-Schlör-Saal lautete: „Immer zusammen! Und jeder das, was er am besten kann!“

Kräftiger Applaus für das Eingangsstatement

Der Vertreter des Technischen Hilfswerks plädierte für eine vernetzte Zusammenarbeit. „Und zwar fachübergreifend auch im täglichen Geschäft. Wenn wir das nicht machen, leisten wir tatsächlich für unsere Bevölkerung wenig“, meinte er.

Kräftigen Applaus hatte Voß eingangs von den Zuhörern für den leidenschaftlichen Dank erhalten, den er der gesamten Blaulicht-Familie für ihr Engagement in den vergangenen drei Jahren ausgesprochen hatte. „All das, was wir hier geleistet haben, haben wir gemeinsam geleistet“, betonte er.

Das Thema Kooperation strichen auch andere Teilnehmer der Diskussionsrunde heraus. Alexander Hameder, Bereichsleiter Einsatzdienste bei der Johanniter Unfall-Hilfe, beispielsweise führte landkreisübergreifende Einsätze an, bei denen Schwierigkeiten durch Unterschiede bei der Einsatzleit-Software entstünden. 

„Es hakt an den Schnittstellen“, meinte er und kam wie Voß auf das verheerende Hochwasser im Ahrtal zu sprechen. „Plötzlich schicken wir wieder irgendwelche Boten umher, um dann Excel-Listen auszudrucken und woanders einzugeben. Das ist für mich nicht das 21. Jahrhundert.“

Gerade beim Thema Prävention machte sich Hameder für Systeme stark, die besser aufeinander abgestimmt seien. „Wir sprechen dieselbe Sprache, aber technisch müssen wir noch nachziehen“, befand der Vertreter der Johanniter.

In die gleiche Richtung wie Hameder und Voß argumentierte Bernhard Schmidt, 2. Bürgermeister der Stadt Erbendorf (Landkreis Tirschenreuth) und Mitglied im Landesvorstand der Freien Wähler. Auch er kritisierte, dass bei der organisationsübergreifenden Zusammenarbeit Kompetenzen meist an Landkreis-Grenzen enden. „Das darf nicht sein. Das muss in jedem Fall verändert werden“, betonte er.

Die Zukunftsfähigkeit des Katastrophenschutzes beginnt nach seiner Bewertung „ganz unten“ – gerade in schweren Katastrophenfällen, wenn im schlimmsten Fall plötzlich bewährte Strukturen oder technische Möglichkeiten fehlen.

Auch hier: Das große Thema Ehrenamt

„Wenn der Digitalfunk nicht mehr da ist, wenn die Kommunikation nicht mehr funktioniert, dann laufen die Leute zusammen, die sich aus der Ausbildung, aus Schulungen und von früheren Einsätzen kennen. Da hilft nicht das Geld, da helfen die Kompetenz und das Netzwerk vor Ort. Das müssen wir stärken“, erklärte Schmidt. Und er schob hinterher: „Das Thema Ehrenamt ist ein Riesenthema, das hier gefördert werden muss.“

Holger Dremel, Landtagsabgeordneter der CSU, plädierte ebenfalls für eine bessere Vernetzung der Hilfsorganisationen, und machte sich im Gespräch mit Moderator Peter Bradl darüber hinaus für eine bessere finanzielle Ausstattung des Katastrophenschutzes auf Bundesebene stark.

„Den Katastrophenschutz werden wir nicht als Freistaat Bayern lenken können, wir müssen das bundesweit denken“, sagte er und kritisierte, dass die Ausgaben im Bund für diesen Bereich abgefallen seien.

„Da appelliere ich schon, dass wir das als gemeinsame Aufgabe erkennen und die Ausgaben im Katastrophenschutz nicht um 33 Prozent nach unten gehen dürfen, sondern vielleicht um 33 Prozent nach oben“, sagte Dremel.

„Ich glaube aber, dass wir hier noch deutlich mehr Geld investieren müssen, um die Organisationen ordentlich auszurüsten.“ SPD-Landtagsabgeordnete Annette Karl

Die SPD-Landtagsabgeordnete Annette Karl stieß ins gleiche Horn und erkannte „auch als Oppositionspolitikerin“ mit Blick auf die jüngsten Haushaltsberatungen an, dass in Bayern „in Zeiten knapper Kassen“ die Mittel im Bereich des Katastrophenschutzes erhöht worden seien. „Ich glaube aber, dass wir hier noch deutlich mehr Geld investieren müssen, um die Organisationen ordentlich auszurüsten“, erklärte sie. Gleichzeitig trat Karl für perspektivische Ansätze ein. „Ich denke, all das, was wir an Prävention versaubeuteln, kann dann der Katastrophenschutz auch nicht mehr ausgleichen.“

„Sprich: Wenn ich in eine Retentionsfläche von Fließgewässern Häuser baue, dann werde ich Hochwasser bekommen. Und wenn ich überall die Flächen versiegele und das Wasser nirgendwo mehr versickern kann, genauso.“ Was diesen Bereich angehe, könne auf der politischen Ebene durch klare Vorgaben, zum Beispiel im Landesentwicklungsprogramm, noch deutlich mehr erreicht werden.

Bei all dem forderte Karl, auch die Bevölkerung besser zu schulen beziehungsweise vorzubereiten. „Was nützt die schönste, neu geförderte Sirene, wenn niemand mehr weiß, was ein Sirenenton bedeutet und was er dann tun sollte?“, fragte die Abgeordnete.

Ihr Landtagskollege von den Grünen, Andreas Krahl, appellierte wie sie dafür, noch viel stärker auf die Karte Vorbeugung zu setzen. „Was der Katastrophenschutz und der Bevölkerungsschutz meines Erachtens aktuell weder auf Landes- noch auf Bundesebene strukturell abbildet, ist das Thema Prävention“, sagte er und zielte bewusst auch auf „bauliche Maßnahmen ab“. Als Beispiel nannte Krahl die schweren Schneestürme im vergangenen Jahr in Kanada.

Dort sei es Mittel der Wahl gewesen, in Tiefgaragen auszuweichen. Bis man festgestellt habe, dass es nicht so ohne weiteres möglich sei, ein Pflegeheim dorthin zu evakuieren…

Sebastian Lange, Abteilungsleiter Rettungsdienst in der BRK-Landesgeschäftsstelle, kam ebenfalls auf das Thema Kooperationen zu sprechen, zeigte aber weitere Facetten daran auf. „Das Zusammenwirken von Rettungsdienst und Katastrophenschutz ist – insbesondere, was den medizinischen Bevölkerungsschutz angeht – enorm wichtig“, meinte er.

Lange: „Das hohe Gut nicht verspielen“

Aber: Die Themen seien komplexer geworden, erklärte er und bezog diese Aussagen nicht zuletzt auf die immer höheren technischen Ansprüche, die heutzutage bei der täglichen Arbeit an die Beschäftigten gestellt würden.

„Wir müssen aufpassen, dass wir gerade für die medizinische Komponente die Mitarbeitenden, vor allem die Ehrenamtlichen, nicht verlieren“, betonte Lange, der an die Rolle erinnerte, die der Vernetzung von Rettungsdienst und Katastrophenschutz in den Bereitschaften über das komplexe Hilfeleistungssystem zukomme. „Das wird anspruchsvoll – und es muss unser Ziel sein, dass wir dieses hohe Gut nicht verspielen.“