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Ganz oft führt der letzte Wunsch ans Wasser

Im August fand die 30. Fahrt des Straubinger Herzenswunsch-Hospizmobils statt. Ein Team aus ehrenamtlichen BRK-Mitarbeitern holt mit dem Fahrzeug schwerstkranke Menschen ab, die kurz vor ihrem Tod noch einmal Lebensfreude spüren und etwas Besonderes erleben wollen. Auch bei den Kreisverbänden Cham und Rottal-Inn gibt es das Angebot seit kurzer Zeit. Eine Botschaft ist den Machern extrem wichtig: "Das hat nichts mit dem Hospizgedanken zu tun, den die Menschen im Kopf haben."

Von Frank Betthausen

Straubing. Einmal noch das Meer sehen! Diese Sehnsucht erfasst viele Menschen, die den Tod vor Augen haben und wissen, dass sie nicht mehr lang zu leben haben. „Das Wasser hat einfach eine besondere Anziehungskraft“, sagt Angela Fischer. Seit rund drei Jahren organisiert sie beim BRK-Kreisverband Straubing-Bogen und darüber hinaus auch für den Bezirksverband Niederbayern/Oberpfalz die Einsätze des Herzenswunsch-Hospizmobils. BRK-Mitarbeiter holen mit dem Fahrzeug schwerstkranke Patienten ab, um ihnen noch einmal Freude zu bereiten und einen letzten großen Wunsch zu erfüllen.

„Leider haben wir es nicht immer geschafft, die Wünsche zu erfüllen. Es kommt vor, dass ein Fahrgast vor der Fahrt stirbt.“ Organisatorin Angela Fischer

Anfang August fand die 30. Fahrt statt, die Fischer und ihr Team aus Ehrenamtlichen seit dem Projekt-Start betreuten. Eine Heimbewohnerin wollte dabei sein, als ihr Lieblingsenkel heiratete.

Im Juni 2018 hatte Notfallseelsorger Klaus Klein die Herzenswunsch-Initiative angestoßen, als er einen todkranken Jungen zu einem Steinmetzbetrieb fuhr, damit sich der Achtjährige seinen Grabstein aussuchen konnte.

Mittlerweile bringen sich auch die BRK-Kreisverbände Cham und Rottal-Inn – dort laufen seit wenigen Wochen die Planungen für das Projekt – in die besondere Aktion ein. „Das ist Teamarbeit“, sagt Angela Fischer. „Es geht nur, wenn wir alle zusammenhalten. Wir arbeiten super zusammen.“

Die Bandbreite der Wünsche ist groß

Fast 50 Wünsche notierte die Koordinatorin bis heute. Die Bandbreite war und ist groß. Da war die Pferdeliebhaberin, die noch einmal zu TV-Pferdetrainer Bernd Hackl nach Michelsneukirchen wollte. Da war der Veranstaltungstechniker, der seiner Tochter versprochen hatte, ihr vor dem Abschied aus diesem Leben Berlin zu zeigen. Da war der alte Mann, der unbedingt in den Wald wollte, in dem er früher mit seinem Großvater Holz eingeschlagen hatte...

„Leider haben wir es nicht immer geschafft, die Wünsche zu erfüllen. Es kommt vor, dass ein Fahrgast vor der Fahrt stirbt“, berichtet Angela Fischer.

Aus der Erfahrung der ersten drei Jahre weiß sie daher genau: „Du hast nicht viel Zeit zum Organisieren.“ Trifft ein Wunsch ein, pressiert es. Dennoch gilt es immer, gut und genau zu planen – speziell dann, wenn eine Fahrt aus Ostbayern hinausführt und es am Zielort Übernachtungsmöglichkeiten braucht; etwa in einem Hospiz. Und: Es gibt Kriterien, die erfüllt sein müssen. Bei Menschen, die das Herzenswunsch-Hospizmobil nutzen wollen, muss, wie Fischer erläutert, eine palliative Grunddiagnose vorliegen. „Der Fahrgast muss so eingeschränkt sein, dass er das Mobil wirklich braucht“, sagt sie.

Ganz wichtig bei all dem: Der behandelnde Arzt und einer der beiden Team-Ärzte des BRK müssen vor Antritt der Fahrt ihr Okay geben. Bei ihnen liegt das letzte Wort. Ist der Wunsch des Patienten ein aufwändigerer, ist der Gesprächsbedarf entsprechend größer. „Es war aber noch nie der Fall, dass ein Mediziner gesagt hat: Nein – das geht nicht“, erklärt Fischer.

Denn: Auch den Ärzten ist bewusst, dass die Menschen, die sich ans BRK wenden, das letzte Stück Lebensweg gehen und keine Aussichten darauf haben, wieder gesund zu werden. Kostet sie die Unternehmung zu viel Energie und sterben sie durch die Fahrt möglicherweise zwei Tage früher, ist ihnen doch ihr sehnlichster Wunsch erfüllt worden – so pragmatisch sehen es alle Beteiligten.

Manchmal braucht es Alternativen

„Wir versuchen, 99 Prozent der Wünsche zu realisieren“, sagt Fischer. Sollte es durch die Umstände dennoch einmal Schwierigkeiten geben, sucht sie Alternativen.

So, wie es beispielsweise gleich bei der ersten Fahrt 2018 der Fall war. Die Patientin wollte damals wie so viele Fahrgäste, die nach ihr kamen, ans Meer. Doch ihr Gesundheitszustand erlaubte die lange Fahrt nicht mehr. Das Team organisierte ihr stattdessen einen Tag am Wolferszwinger Weiher, einem idyllischen Badesee im Landkreis Regensburg. Die Frau war überglücklich.

„Ansonsten ist das eine Situation, in der ich mich bewusst zurückhalte. Da bin ich die Person in der zweiten Reihe. Da ist jemand anders wichtig.“ Alois Hummelsberger, hauptamtlicher Notfallsanitär

„Durch jede Fahrt lernt man dazu“, sagt Fischer. Zu diesen Erfahrungswerten gehört auch, dass die ehrenamtlichen BRK-Mitarbeiter, die den Fahrgast begleiten, wissen, worauf sie sich einlassen. Sie müssen innerlich für die Aufgabe gewappnet sein. „Nicht jeder ist für diese Situation gemacht. Man braucht Leute, die sich das wirklich zutrauen“, erklärt René Strietzel, der beim BRK Cham Anfang des Jahres die erste Fahrt mit dem dortigen Herzenswunschmobil mitbetreut hatte. Ein 99-jähriger Herr wollte noch einmal seine Familie, sein altes Haus und das Grab seiner Frau besuchen.

Um den Fahrten auch optisch ein anderes Gewicht zu geben, tragen die Mitarbeiter bewusst keine Rettungsdienstkleidung, sondern T-Shirts und Jeans. Und: Sie halten sich dezent im Hintergrund. Sprich: Sie beobachten still, wie es dem Fahrgast geht und sind nur dann zur Stelle, wenn es der Moment erfordert.

„Ansonsten ist das eine Situation, in der ich mich bewusst zurückhalte. Da bin ich die Person in der zweiten Reihe. Da ist jemand anders wichtig“, beschreibt es Alois Hummelsberger, hauptamtlicher Notfallsanitär beim Kreisverband Rottal-Inn. „In dem Augenblick geht es einfach um den Gast“, bekräftigt René Strietzel.

Eine Erfahrung, die sowohl die beiden als auch Sandra Weiß, Rettungssanitäterin beim Kreisverband Straubing, machen: Das Hospizmobil sorgt überall dort, wo es vorfährt, für riesige Hilfsbereitschaft bei den Menschen – und dafür, dass sich „Tür und Tor öffnen“, wie es Angela Fischer formuliert.

Viele Menschen haben immer noch Vorbehalte

In Berlin beispielsweise war es den BRK-Mitarbeitern bei einer Reise möglich, zwei Stunden direkt am Brandenburger Tor zu parken.

Generell, diese Bilanz zieht sie nach der 30. Fahrt, könnten die Verantwortlichen noch viel mehr Wünsche erfüllen. Aber: Viele Menschen und ihre Angehörigen setzen das Thema Hospizmobil zu sehr mit dem Tod gleich. Die Fahrten, das ist ein Anspruch des Teams, sollen dem Gast tatsächlich Spaß machen. Er soll die Unternehmung in vollen Zügen genießen. 

„Letztlich ist das wie ein Familienausflug – nur mit einem anderen Auto und zwei, drei Begleitern, die sich etwas besser auskennen“, lautet für Franz Wacker, Teammitglied und stellvertretender Kreisbereitschaftsleiter beim Kreisverband Straubing-Bogen, die Botschaft an die Öffentlichkeit. Walter Müller, Bereitschaftsleiter und Teamleiter Kriseninterventionsdienst beim Kreisverband Rottal-Inn, pflichtet ihm bei. Und auch von René Strietzel kommt Zustimmung. „Das hat nichts mit dem Hospizgedanken zu tun, den die Menschen im Kopf haben“, betont er.

„Du bekommst mindestens das Gleiche zurück, was du den Menschen Gutes tust.“ Organisatorin Angela Fischer

Ganz nebenbei, das erlebt Organisatorin Angela Fischer immer wieder intensiv mit, nehmen alle Beteiligten über ihren Einsatz für das Herzenswunsch-Hospizmobil viel für ihr eigenes Leben und ihren Alltag mit. „Du bekommst mindestens das Gleiche zurück, was du den Menschen Gutes tust“, sagt sie.

Wieviel die Herzenswünsche den Patienten bedeuten, erfährt das Team regelmäßig auf der Rückfahrt, wenn es im Auto still wird und die Eindrücke des Tages nachwirken.

Und noch eine Erfahrung machen die BRK-Aktiven: Oft lassen die Menschen nach der Fahrt los – und bei Angela Fischer trifft bald darauf die Nachricht ein, dass der Fahrgast für immer die Augen geschlossen hat.

Eine Frage, die ihr häufig gestellt wird, ist die, welcher Wunsch für sie in all der Zeit der schönste war. Fischers Antwort ist immer die gleiche. „Jeder Wunsch war der schönste, weil es genau der Wunsch war, den dieser Mensch hatte.“

Hintergrund: Das Projekt

  • Idee: „Wir haben es natürlich nicht erfunden“, sagt Organisatorin Angela Fischer in aller Bescheidenheit über das Herzenswunsch-Hospizmobil des BRK-Kreisverbands Straubing-Bogen. Rettungsorganisationen wie der ASB oder die Malteser setzen den Gedanken bereits seit geraumer Zeit um – international gelten die Niederländer als Vorreiter.

  • Region: Beim Bayerischen Roten Kreuz allerdings waren die Kollegen aus Straubing die treibende Kraft. Von Niederbayern aus fand das Projekt, das sich komplett über Spenden finanziert, Nachahmer im gesamten Freistaat. Im Gebiet des BRK-Bezirksverbands gibt es bei den Kreisverbänden Cham und Rottal-Inn inzwischen ebenfalls entsprechende Fahrzeuge. Wenngleich in Cham coronabedingt erst eine Fahrt stattfinden konnte und im Rottal noch die Vorbereitungen für den ersten Einsatz laufen…
  • Unterstützer: Das ehrenamtliche Team, das den Menschen aus dem Landkreis Straubing-Bogen ihren Herzenswunsch erfüllt, ist bunt gemischt. Kranken- beziehungsweise Altenpfleger gehören ihm genauso an wie Pfarrer, Hausfrauen, Sozialpädagogen oder Personal aus dem Rettungsdienst. Letzteres bringt wertvolle Kenntnisse mit, wenn es darum geht, den Tragestuhl oder die Trage in dem Fahrzeug zu bedienen, und hat auch entsprechendes medizinisches Fachwissen.
„Wichtiger als der Rettungsdienst-Hintergrund ist in diesem Fall der Pflegepart.“ Bernhard Heuschneider, IT-Koordinator beim Kreisverband Straubing-Bogen und Teammitglied
  • Fahrten: „Wichtiger als der Rettungsdienst-Hintergrund ist in diesem Fall aber der Pflegepart“, erklärt Bernhard Heuschneider, IT-Koordinator beim Kreisverband Straubing-Bogen und Teammitglied. „Auch der Notfallsanitäter muss die 112 wählen, wenn sich der Zustand des Patienten auf der Fahrt verschlechtert“, ergänzt Angela Fischer.
  • Fahrzeug: Besonders stolz sind die Kollegen aus Straubing auf das neue, ebenfalls ausschließlich über Spenden finanzierte Hospizmobil, das im Juni 2020 in Betrieb gegangen war. Es ist bis ins kleinste Detail für den Zweck der Fahrten umgebaut und eingerichtet worden – bis hin zu einem Sternenhimmel aus kleinen Leuchten, die der Fahrgast sieht, wenn er im Liegen zur Decke hinaufblickt.